Praktische Grundlagen des Termincontrollings

Der Beitrag erläutert die Grundlagen des praktischen Termincontrollings unter Berücksichtigung der im Bauwesen typischen  Änderungen der Sollvorgaben.

Quellenangabe: Heilfort, Grundlagen des praktischen Termincontrollings, Baumarkt + Bauwirtschaft, Heft 10/2003, S. 27 – 29

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Die umfassenden Mitwirkungspflichten und Gestaltungsrechte von Auftraggeber und Auftragnehmer führen beim Bauen zu einer dynamischen Produktionsstruktur, in der Abweichungen vom ursprünglich geplanten Bauablauf eher Regel als Ausnahme sind. Dieser Beitrag stellt Grundlagen des systematischen Termincontrollings vor, mit dem Abweichungen sicher erkannt und nachvollziehbar zugeordnet werden können.

Primäres und sekundäres Vertrags-Soll

Primäres und sekundäres Vertrags-Soll

Abweichungen vom geplanten Bauablauf können auch dann zu Mehrkosten führen, wenn für den Auftraggeber aufgrund einer gröberen Perspektive auf den Bauablauf gar keine Abweichungen erkennbar sind, zum Beispiel bei der verlängerten Vorhaltung von Leistungsgeräten in nicht kritischen Vorgängen. Neben der fehlenden Einsicht in die kausale Verursachung und adäquate Höhe der Mehrkosten scheitern solche Ansprüche auch oft am unzureichenden internen Termincontrolling. Die Höhe der Kostenabweichung kann zwar im Kostencontrolling festgestellt, aber kein justiziabler Bezug zur Kostenursache nachgewiesen werden – ganz abgesehen von der versäumten Anspruchssicherung. Bauunternehmen müssen folglich ein Controllingsystem einrichten, mit dem Abweichungen so früh erkannt werden können, dass eine baubegleitende, juristisch korrekte Anspruchssicherung noch möglich ist beziehungsweise bei eigenverursachten Störungen rechtzeitig gegengesteuert werden kann, um Ansprüche des Auftraggebers zu verhindern.

Dynamik der Soll-Vorgaben im Bauablauf berücksichtigen

Bauprojekte sind dynamische Systeme, in denen sich aufgrund der Wahrnehmung von Gestaltungsrechten oder der Verletzung von Mitwirkungspflichten sowohl Soll- als auch Ist-Werte über den Bauablauf fortentwickeln können. Jedes zeitpunktbezogene Abbild eines Bauablaufplans kann dabei als ein Zustand betrachtet werden. Wichtige Zustandsdimensionen sind das vereinbarte Vertrags-Soll (Soll 1), das letztlich angeordnete Bau-Soll (Soll n) und das tatsächliche Bau-Ist (Ist). Basis des Termincontrollings ist daher das Erkennen und Analysieren von Abweichungen zwischen mindestens zwei Zuständen: Referenz- und Beobachtungszustand.

Vor allem die Soll-Vorgaben der Leistungserbringung entwickeln sich nach dem Vertrags-Soll (Soll 1) typischerweise in mehreren Stufen weiter. Die einzelnen Soll-Zustände sollten zur Unterscheidung bis Soll n durchnummeriert werden. Eine Besonderheit ist die stichtagsorientierte Betrachtung: Bis zum Stichtag weist auch ein Soll-Ablaufplan immer das Bau-Ist aus, erst nach dem Stichtag handelt es sich um einen reinen Soll-Ablauf. Zwei unterschiedliche Soll-Zustände, zum Beispiel Soll 4 und Soll 3 (oder bei kleineren Controllingschritten auch Soll 3.09 und Soll 3.08) werden in einem direkten Vergleich also immer auch Abweichungen aufgrund üblicher Bauablaufschwankungen enthalten, die nicht weiter verfolgt werden und auch nicht zu Ansprüchen führen (können). In der Folge entsteht im Bauprojektablauf ein System aus verschiedenen Soll- und Ist-Zuständen, die sich gegenseitig bedingen. Ein Ziel des Termincontrollings muss es nun sein, anspruchsbegründende Bauablaufstörungen zu erkennen und deren Folgen nachvollziehbar zu dokumentieren.

Auch die Annahmen des Auftragnehmers definieren Soll-Zustand

b23-2-termincontrolling-bauzustaendeBei der Definition und baubegleitenden Erfassung von Vertrags-Soll, Bau-Soll und Bau-Ist kommt es auch auf die Gestaltungsdimension an. Abbildung 1 zeigt für das Vertrags-Soll, dass sich der Regelungsgehalt eines Bauvertrages und der Regelungsbedarf für die Bauleistung nicht decken. Während im primären Vertrags-Soll zum Beispiel nur ein Beginn- und ein Endtermin vereinbart wird, setzt der Auftragnehmer diese explizit getroffenen Vereinbarungen in einen Bauablaufplan um, der innerhalb der vertraglichen Vereinbarungen definiert, wie die Bauleistung im Detail erbracht werden soll und welche Voraussetzungen, zum Beispiel welche Mitwirkungspflichten, gegebenenfalls wann erforderlich sind.

Ebenso hat für den Auftragnehmer das sekundäre Bau-Soll einen anderen Umfang als das primäre, vom Auftraggeber angeordnete Bau-Soll. Die Unterscheidung nach der Gestaltungsdimension lässt sich bis zum Bau-Ist nachvollziehen, das für den Auftragnehmer zum Beispiel auch die Umstände der Leistungserbringung beinhaltet.

Im Ergebnis entsteht die in Abbildung 2 dargestellte, zweidimensionale Projektmatrix aus Zustands- und Gestaltungsdimension. In der dritten Dimension könnten die Einzeldaten zusätzlich noch nach Kosten und Qualitäten unterschieden werden. Die Matrix ist die Basis für das systematische Erkennen, Analysieren und Zuordnen von Differenzen zwischen beliebigen Referenz- und äquivalenten Beobachtungszuständen.

Controlling muss Zustandsdifferenzen im Einzelfall erfassen

Der Referenzzustand ist der Vergleichswert für die Abweichungsanalyse. Referenzzustand kann jeder beliebige, zeitpunktbezogene Zustand des Bauprojektes sein. Wichtige Referenzzustände sind das ursprüngliche sekundäre Vertrags-Soll und das aktuelle sekundäre Bau-Soll. Der Beobachtungszustand ist ebenfalls ein beliebiger Projektzustand zu einem Stichtag, meist jedoch der unmittelbar folgende Zustand. Die Primärzustände dienen meist der Darstellung von Abweichungen in Bezug auf die vertraglichen Vereinbarungen, sind aber für eine kontinuierliche Überwachung des Bauablaufs viel zu unscharf.

In der Abbildung 3 ist schematisch ein Bauablauf mit unterschiedlichen Zustandsdifferenzen zwischen Vertrags-Soll, Bau-Soll und Bau-Ist dargestellt. Die einzelnen Vorgänge A, B und C können dabei sowohl „klassische“ Bau-Leistungen als auch Tätigkeiten der Planung oder Arbeitsvorbereitung umfassen.

Vergleich des aktuellen Bauzustandes mit dem Referenzplan

Vergleich des aktuellen Bauzustandes mit dem Referenzplan

Im Beispiel besteht die erste Zustandsdifferenz zwischen dem primären Vertrags-Soll (Soll 1, schwarz dargestellt) und dem primären Bau-Soll (Soll 2, rot dargestellt). Ursache kann zum Beispiel die Anordnung eines um 5 Tage verschobenen Baubeginns durch den Auftraggeber sein. Primär verschiebt sich auch der Fertigstellungstermin um diese 5 Tage. Sekundär ändert sich die Lage jedes einzelnen Vorgangs im Bauablaufplan. Entsprechend ist der Vergleich zwischen Soll 1 und Soll 2 grafisch als Abweichung des roten Beobachtungszustandes (Soll 2) vom schwarzen Referenzzustand (Soll 1) zu erkennen.

Auch wenn die Soll-Zustände nicht weiter geändert werden, tritt im Beispiel zwischen dem Soll-2- und dem Ist-Zustand dennoch eine weitere Differenz auf, da der Vorgang A insgesamt 3 Tage länger als geplant andauert. Da der Vorgang A auf dem kritischen Weg liegt, führt die Differenz zwischen dem geänderten Bau-Soll als nunmehrigem Referenzzustand (Soll 2, rot dargestellt) und dem tatsächlichen Bauablauf als Beobachtungszustand (Ist, grün dargestellt) zu einer Gesamtverschiebung des Fertigstellungstermins um 8 Tage.

Das eher theoretische Beispiel mag noch nachvollziehbar sein, in der Praxis aber „produziert“ das Termincontrolling bei Bauablaufplänen mit zum Beispiel 2.000 Vorgängen und wöchentlichen Zustandserfassungen schon nach einem Jahr etwa 100.000, meist voneinander abweichende Einzeldaten. Bei großen Bauvorhaben und der Hinterlegung der einzelnen Vorgänge mit Ressourcen oder Zahlungsdaten kann diese Zahl noch weiter ansteigen. Hier zeigt sich, wie wichtig systematisches Termincontrolling ist: Abweichungen zwischen zwei Projektzuständen können nur dann sicher festgestellt werden, wenn der abweichende Vorgang oder Meilenstein auch eine Entsprechung im Referenzplan hat, die regelmäßige, baubegleitende Überwachung erfolgt und Zustandsdifferenzen auch nachvollziehbar dokumentiert werden.

Das Beispiel zeigt, dass ein statisches Verständnis vom Soll-Ist-Vergleich dem tatsächlichen Produktionsprozess beim Bauen nur unzureichend gerecht wird. Die zwischen Vertrags-Soll und Bau-Ist liegenden, sich permanent vor allem aufgrund der Wahrnehmung von Gestaltungsrechten beziehungsweise der Verletzung von Mitwirkungspflichten fortentwickelnden Zustände des Bauablaufs erfordern vielmehr eine einzelfallspezifische Unterscheidung verschiedener Soll-Zustände.

Abgrenzung von Schwankungen und Störungen

Bauablaufstörungen sind alle im Rahmen des Controllingprozesses festgestellten Differenzen zwischen vertragsgerechten Referenz- und äquivalenten Beobachtungszuständen in der Wertschöpfung eines Bauprojektes, die auf konkrete Ursachen zurückgeführt werden. Behinderungen sind in diesem Begriffsverständnis eine Teilmenge der Bauablaufstörungen, an die spezielle juristische Anspruchsvoraussetzungen geknüpft sind.

Zustandsdifferenzen, die nicht von dieser Definition erfasst werden, können demzufolge als Bauablaufschwankungen nicht zu Ansprüchen der Bauvertragspartner führen. Damit sollen nicht vorrangig produktionsspezifische, statische Prinzipien die Abgrenzung zwischen prinzipiell anspruchsbegründenden Bauablaufstörungen und hinzunehmenden Bauablaufschwankungen ermöglichen, sondern in der Praxis auch unterscheidbare Kriterien.

Gerade der Ursachenbezug zeigt, dass ein und dieselbe Differenz zwischen Referenz- und Beobachtungszustand je nach Verhalten des Auftragnehmers unterschiedlich zugeordnet werden kann: Erfolgt eine systematische Erfassung und kausale Dokumentation der Differenz im Controllingsystem, handelt es sich demnach um eine Störung, wird die Abweichung jedoch nicht erkannt (oder hingenommen), sollen aus dieser Abweichung auch später keine Ansprüche geltend gemacht werden können.

Fazit

Angesichts immer enger werdender Korridore für tolerierbare Zielabweichungen sollten Bauunternehmen das systematische Termincontrolling ihrer Bauprojekte intensivieren. Wie der hohe Anteil nicht durchsetzbarer, ablaufbedingter Mehrkosten zeigt, ist die Implementierung von aussagekräftigen Controllinginstrumenten für erfolgsorientierte Bauunternehmen zwingend erforderlich. Vor allem dann, wenn die aus Zustandsdifferenzen gegebenenfalls resultierenden Fristverlängerungs-, Vergütungs- oder Schadensersatzansprüche auch erfolgreich gesichert und durchgesetzt werden sollen, machen sich die Aufwendungen für ein systematisches Termincontrolling bezahlt.

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