Terminliche und monetäre Ansprüche bei verzögertem Zuschlag

Der Beitrag beschreibt die Anspruchsermittlung  für den Fall einer Verzögerung der Zuschlagserteilung und einer Verschiebung der Bauzeit.

Quellenangabe: Heilfort/Zipfel, Ermittlung terminlicher und monetärer Ansprüche des beauftragten Bauunternehmers bei vom AG zu vertretender Verzögerung der Zuschlagserteilung, VergabeRecht, Heft 1/2005, S. 38 – 43. Download pdf-Datei

1. Vorbemerkungen

1.1 Einführung

Seit dem Inkrafttreten des Vergaberechtsänderungsgesetzes im Jahr 1999 wird benachteiligten Bietern das Recht zugestanden, für laufende Vergabeverfahren ein Nachprüfungsverfahren nach §§ 107 ff. GWB einzuleiten. Eine Statistik des forum vergabe e. V. zeigt, dass 37 % der Verfahren beanstandet werden. In 19 % aller Fälle werden Nachprüfungsverfahren angestrengt, in denen Bieter zu 40 % obsiegen.[1] Die resultierende Verzögerung der tatsächlichen Zuschlagserteilung beträgt z. B. im Fall „Polizeifachhochschule“[2] 18 (!) Monate. Dass derartige Verschiebungen der Bauausführung vom Gesetzgeber nicht vorhergesehen worden sind, zeigt der Regelentscheidungszeitraum der Vergabekammern von 5 Wochen. Entsprechend unvorhergesehen und ungeregelt ist auch die Behandlung der terminlichen und monetären Auswirkungen verzögerter Zuschlagserteilung.

Dieser Beitrag soll die oft erheblichen Folgen für den beauftragten Unternehmer aufzeigen, Anspruchsgrundlagen skizzieren und die Anspruchsermittlung erläutern. Im Mittelpunkt steht der Fall eines Bestbieters, der aus vom Auftraggeber zu vertretenden Gründen unberechtigt ausgeschlossen wurde und seine Leistungen nach Obsiegen im Beschwerdeverfahren nunmehr zeitlich stark verschoben erbringen muss.

1.2 Folgen des verspäteten Zuschlags

Prinzipiell können die Folgen einer verspäteten Zuschlagserteilung nach ihren Auswirkungen in drei Fallgruppen gegliedert werden:

  1. Terminliche Folgen,
  2. Monetäre Folgen vor Zuschlag und
  3. Monetäre Folgen nach Zuschlagserteilung.

Bereits die terminlichen Folgen sind keineswegs unproblematisch. Aus dem verspäteten Zuschlag resultiert zwar ein verzögerter Baubeginn, aber es ist z. B. unklar, ob dem Unternehmer gegenüber den ursprünglichen Regelungen eine verlängerte Dispositionsfrist bis zum Baubeginn zugestanden werden muss. Und bei der Beurteilung der Frage, welcher neue Fertigstellungstermin nunmehr gelten soll, entstehen die nächsten Probleme aufgrund verschiedener Berechnungsmethoden. Weiterhin sind die bauklimatischen Auswirkungen der Bauzeitverschiebungen sowie die etwaig daraus resultierenden Fristzuschläge zu bewerten.

Für die Beurteilung der monetären Folgen einer verspäteten Zuschlagserteilung sind die entstehenden Kosten insbesondere nach deren Entstehungszeitpunkt abzugrenzen, da davon die Anspruchsgrundlage und damit das Verfahren zur Anspruchsermittlung abhängt. Vor Zuschlagserteilung können Mehrkosten entstehen, wenn der Unternehmer im Vertrauen auf die Bezuschlagung z. B. Personal projektspezifisch vorhält. Darüber hinaus entgehen dem Bauunternehmer aufgrund der (unproduktiv) blockierten Ressourcen erforderliche Deckungsbeiträge für allgemeine Geschäftskosten.

Nach der Zuschlagserteilung entstehen Mehrkosten z. B. aus Preiserhöhungen für die einzusetzenden Personal-, Stoff- und Geräteressourcen oder aus Winterbaumaßnahmen.

Aber auch der öffentlichen Hand entstehen Mehrkosten, insbesondere aus der verspäteten Nutzung. Diese Folgen sollen hier jedoch ebenso vernachlässigt werden wie die „weichen“ Folgen eines beanstandeten Vergabeverfahrens, die sich aus dem Vertrauensverlust in die öffentliche Bauverwaltung ergeben dürften.

2. Anspruchsgrundlagen für terminliche und monetäre Ansprüche des Unternehmers

2.1 Anspruchsgrundlage für die Fristverlängerung

Als Grundlage eines Fristverlängerungsanspruchs ist nach herrschender Meinung § 6 Nr. 2 VOB/B anzuwenden.[3] Die Stellung einer Behinderungsanzeige nach § 6 Nr. 1 VOB/B ist entbehrlich, da jedem Auftraggeber offenkundig sein muss, dass mit den Arbeiten erst nach Zuschlag begonnen werden kann.

Die Berechnung der Fristverlängerung erfolgt gemäß § 6 Nr. 4 VOB/B nach der Dauer der Behinderung mit einem Zuschlag für die Wiederaufnahme der Arbeiten und die etwaige Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit.

2.2 Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Mehrkosten vor Zuschlagserteilung

Bisher nicht geklärt ist, wie in dem hier diskutierten Fall einer vom Auftraggeber verschuldeten Verzögerung mit den Mehrkosten des verspätet beauftragten Bieters im Zeitraum zwischen der geplanten und der tatsächlichen Zuschlagserteilung verfahren werden soll. Der Gesetzgeber hat dieses Problem bisher nicht geregelt. Dass die Verbesserung der Rechtsposition eines unberechtigt übergangenen Bieters nicht mit wirtschaftlichen Nachteilen einhergehen darf, sollte jedoch nicht nur der juristischen und baubetrieblichen Sicht, sondern auch dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Dennoch stehen bisher allein die Mehrkosten aus der verschobenen Bauzeit nach Zuschlagserteilung im Mittelpunkt von Rechtsprechung und Literatur.

Hier soll zunächst ein Sonderfall diskutiert werden, in dem eine schuldhafte Pflichtverletzung des Auftraggebers im Vergabeverfahren zu der verspäteten Zuschlagserteilung geführt hat. Es ist die rechtliche Grundlage für die Abrechnung der Mehrkosten des Unternehmers zunächst vor Zuschlagserteilung zu ermitteln. Dem letztlich erfolgreichen Bieter soll so eine Inanspruchnahme des Auftraggebers ermöglicht werden, wenn der Zuschlag erst (schuldhaft) verwehrt wurde und dem Bieter im berechtigten Vertrauen auf die Bezuschlagung für die Dauer des Nachprüfungs- bzw. Beschwerdeverfahrens projektspezifische Mehrkosten entstehen.

Mit der Einleitung eines Vergabeverfahrens wird zwischen dem Auftraggeber und dem Bieter ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis begründet. Daher sind auch im Rahmen der VOB/A die Grundsätze des von der Rechtsprechung entwickelten und nach der Schuldrechtsreform in das BGB aufgenommenen Haftungsanspruchs für Verschulden bei Anbahnung eines Vertragsverhältnisses anwendbar. Gemäß § 311 Abs. 2 BGB entsteht durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen ein vorvertragliches Schuldverhältnis. Dieses Schuldverhältnis verpflichtet gemäß § 241 Abs. 2 BGB jede Partei zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Partners. Der Bieter muss sich danach darauf verlassen können, dass der öffentliche Auftraggeber die Grundsätze des Vergaberechts (GWB, VgV, VOB/A) einhält, insbesondere das Wettbewerbs- und Transparenzprinzip sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Es muss dem Bieter möglich sein, z. B. mit Bindefristverlängerungen am Ziel des Vertragsschlusses festzuhalten und trotzdem einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses zu wahren, wobei er so zu stellen ist, als ob das Vergabeverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre. Dabei entsteht nach der hier vertretenen Auffassung ein auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichteter Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens vor Vertragsschluss. Die Missachtung des Vergaberechts durch den Auftraggeber impliziert das für die Haftung notwendige Verschulden des öffentlichen Auftraggebers.

Ein Anspruch auf Schadensersatz aus c. i. c. folgt aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis, das mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründet wird, vom tatsächlichen Zustandekommen des Vertrages und seiner Wirksamkeit jedoch weitgehend unabhängig ist und zur verkehrsüblichen Sorgfalt sowie zu loyalem und redlichen Verhalten gegenüber dem anderem Vertragsteil verpflichtet. Deshalb richtet sich der Anspruch regelmäßig auf den Ausgleich der Nachteile, die durch die Verletzung des bei der Vertragsanbahnung in den Vertragspartner gesetzten Vertrauens entstanden sind. Der zu Unrecht benachteiligte Bieter ist gemäß § 249 Abs.1 BGB so zu stellen, als wäre das Vergabeverfahren von Seiten des Auftraggebers regelgerecht durchgeführt worden. Dabei haben die bestandskräftigen Entscheidungen der Vergabekammer und ggf. die Entscheidung des OLG gemäß § 124 GWB präjudikative Wirkung.

Als Schadensersatz grundsätzlich erstattungsfähig ist der adäquat-kausale Mehraufwand[4] des zunächst unberechtigt ausgeschlossenen, jedoch laut Submissionsergebnis wirtschaft­lichsten Bieters, der im Vertrauen auf den Erfolg im Vergabeverfahren zusätzliche Aufwendungen tätigt, die er bei ordnungsgemäßer Einhaltung der Vergaberegeln durch den öffentlichen Auftraggeber nicht hätte tätigen müssen.

Fraglich ist, ob der Anspruch aus c. i. c. durch vertragliche Mehrvergütungsansprüche bzw. Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche des letztlich erfolgreichen Bieters aus § 2 Nr. 5 bzw. § 6 Nr. 6 VOB/B oder § 642 BGB überlagert werden kann, was letztlich von einer Einzelfallbetrachtung abhängen dürfte.

2.3 Anspruchsgrundlagen für Mehrkosten nach Zuschlagserteilung

Die verspätete Zuschlagserteilung bedingt weitere terminliche und monetäre Folgen nach Vertragsschluss. Für die Beurteilung der monetären Anspruchsgrundlage kommt es darauf an, ob die verzögerte Zuschlagserteilung als Pflicht- bzw. Obliegenheitsverletzung des Auftraggebers oder als „andere Anordnung“ im Sinne des § 2 Nr. 5 VOB/B zu werten ist.

Bei Interpretation des verspäteten Zuschlags als „andere Anordnung“ des Auftraggebers zum Baubeginn, mit der die vereinbarte Leistung nicht nur ausgestaltet, sondern tatsächlich geändert wird[5], können Mehrvergütungsansprüche aufgrund der verschobenen Bauausführung nach § 2 Nr. 5 VOB/B geltend gemacht werden[6]. Schwierigkeiten bestehen allerdings bei der Bestimmung der Rechtsnatur der „anderen Anordnung“ im Sinne des § 2 Nr. 5 VOB/B.[7] Gerade wenn die Zuschlagserteilung erst nach Durchführung des Beschwerdeverfahrens durch Entscheidung des Gerichts erfolgt, fehlt es u. E. am freien Willen des Auftraggebers.

Beruht die verspätete Zuschlagserteilung wie im vorliegenden Fall auf einer schuldhaften Pflichtverletzung des Auftraggebers im Vergabeverfahren, kommt für die bauablaufbedingten Mehrkosten ein Schadensersatzanspruch auf Grundlage von § 6 Nr. 6 VOB/B in Betracht. Der Unternehmer, der die Erstattung von Mehrkosten aus der verschobenen Bauzeit gemäß § 6 Nr. 6 VOB/B geltend machen will, muss im Einzelnen den behindernden Sachverhalt, die konkreten, adäquat-kausalen terminlichen und monetären Auswirkungen sowie die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen darlegen.

Die grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Missachtung der Grundsätze des Vergaberechts impliziert auch nach Vertragsschluss Verschulden des Auftraggebers. Die haftungsbegründende Kausalität ist zwar im vorvertraglichen Verhältnis der Parteien angesiedelt, rechtlich relevante Mehrkosten entstehen aber im Wesentlichen aufgrund der durch die verspätete Zuschlagserteilung verursachten Verschiebung des Bauablaufes und damit erst während der Vertragslaufzeit. Die Behinderungsanzeige als weitere anspruchsbegründende Voraussetzung ist wegen Offenkundigkeit entbehrlich. Der Auftraggeber verfügt nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens und der verspäteten Zuschlagserteilung an den Bieter über den notwendigen Informationsstand, der üblicherweise bei Behinderungen mit der Anzeige erreicht werden soll. Für die Höhe des Schadensersatzanspruches trägt der Auftragnehmer die uneingeschränkte Darlegungs- und Beweislast. Eine Schätzung nach § 287 ZPO kommt lediglich hinsichtlich des Schadenseintritts in Betracht.

3. Baubetriebliche Grundlagen der Anspruchsermittlung

3.1 Anforderungen an den Bauablaufplan

Bauablaufpläne weisen in der Angebotsphase meist nicht die für eine qualifizierte Anspruchsermittlung erforderliche Informationsdichte auf. Probleme ergeben sich oft aus mangelnder Detaillierung, fehlender Vernetzung der Vorgänge oder Widersprüchen zur Angebotskalkulation.

Aus dem Bauablaufplan gemäß Angebot (Soll 0) muss hervorgehen, wann Auftragserteilung, Baubeginn und Fertigstellung ursprünglich erfolgen sollten und wie der Auftragnehmer den gegenüber der Ausschreibung unveränderten Auftrag realisieren wollte. Die Leistungen sind hinreichend genau zu untergliedern, um bauteil- und gewerkespezifische Kosten zuordnen und Auswirkungen einer Bauzeitverschiebung auf witterungssensible Vorgänge erkennen zu können.[8] Wenn das Preisangebot auf einem kontinuierlichen Ressourceneinsatz aufbaut, sollten auch kapazitative Abhängigkeiten berücksichtigt werden. Wichtig sind auch Feier-, Ausfall- und andere arbeitsfreie Tage.

Der Bauablaufplan Soll 0 definiert zentrale Bestandteile der Preisermittlungsgrundlage und ist die Berechnungsbasis terminlicher und monetärer Ansprüche.[9]

3.2 Anforderungen an die Kalkulation

Eine aussagekräftige, vertragsgerechte Kalkulation erleichtert in jedem Fall die Ermittlung der störungsspezifischen Mehrkosten. Neben den Baustellengemeinkosten sind auch die Einzelkosten der Teilleistungen so aufzubereiten, dass die Preisermittlungsgrundlage vorgangsspezifisch definiert werden kann. Dazu gehört eine Aufsplittung mindestens in die Kostenarten Lohn, Stoffe, Geräte und Fremdleistungen, da sich bei einer Verschiebung der Bauzeit jeweils unterschiedliche Kostenfolgen ergeben.[10] Im Idealfall werden sämtliche Positionen der Kalkulation den Vorgängen im Bauablaufplan zugeordnet. Die weit verbreiteten EDV-Programme ARRIBA (Kalkulation) und Power Project (Bauablaufplanung) verfügen bereits seit mehreren Jahren über eine entsprechende Schnittstelle zum Datenaustausch.

4. Ermittlung terminlicher Ansprüche aus der verzögerten Zuschlagserteilung

4.1 Ausgangssituation: Bauablauf gemäß Ausschreibung (Soll 0)

Der Bauablaufplan Soll 0 zeigt, wie der Bieter den Leistungsumfang unter Berücksichtigung der vom Auftraggeber definierten Randbedingungen bei Angebotslegung erbringen wollte. Da dieser Bauablaufplan mit der Urkalkulation korrespondiert und sich die Gesamtkosten des Angebotes den Vorgängen im Bauablaufplan zuordnen lassen, bietet sich somit eine transparente Berechnungsgrundlage für Termin- und Kostenfortschreibungen nach dem Bauablauf-Differenzverfahren.

4.2 Direkte Auswirkungen der verschobenen Zuschlagserteilung (Soll 1)

Auf der Grundlage des erweiterten, mit Kosten hinterlegten Netzplans der Angebotsphase müssen die Auswirkungen der verzögerten Zuschlagserteilung auf den Bauablauf konkret dargestellt werden. Bei korrekter Erstellung des vernetzten Angebotsterminplans (Soll 0) und entsprechendem Softwareeinsatz verschiebt sich bei der Neudefinition des Zuschlagstermins der gesamte Bauablauf unter Beibehaltung aller Annahmen der Angebotsphase. Durch direkte Vergleiche der beiden Bauablaufpläne Soll 0 und Soll 1 können auf dieser Basis zum Beispiel diejenigen Lohnstunden herausgefiltert werden, die sich in einen neuen Tarifzeitraum verschieben werden und die somit potenziell von Kostensteigerungen betroffen sind.

4.3 Berücksichtigung geänderter Rahmenbedingungen des Bauablaufs (Soll 2)

Auf der Grundlage des im Soll 0 erstellten Bauablaufplans und dessen Verschiebung zum Soll 1 müssen bei der Fortschreibung zum Soll 2 auch die (ex ante) erwarteten Auswirkungen der verzögerten Zuschlagserteilung auf den zukünftigen Bauablauf konkret dargestellt werden. Von Bedeutung sind in diesem Schritt insbesondere die Einflüsse einer Verschiebung in andere Witterungsperioden, die zu Fristzuschlägen, aber auch zu gravierenden Umstellungen des Bauablaufplans führen können, wenn z. B. die Abdichtungsarbeiten nunmehr im Winter durchgeführt werden müssten. Im Ergebnis entsteht ein zum Soll 2 fortgeschriebener Bauablaufplan, der aufzeigt, wie die Leistungserbringung tatsächlich erfolgen kann.

Im Soll 2 ist auch zu prüfen, inwiefern durch Umstellungen des Bauablaufs die festgestellten Auswirkungen zumutbar, d. h. kostenneutral reduziert werden können. Da bei der Fortschreibung zahlreiche Parameter simultan geändert werden, ist eine nachvollziehbare, schrittweise Dokumentation besonders wichtig. Aus der Neuberechnung des fortgeschriebenen, ggf. strukturell überarbeiteten Bauablaufplans folgt die tatsächliche Fristverlängerung für die termingerechte Baufertigstellung gemäß Soll 2.[11]

4.4 Anspruchsermittlung aus beauftragten Beschleunigungsmaßnahmen (Soll 3)

Aus dem Bauablaufplan Soll 2 kann sich eine sowohl in Bezug auf die Anzahl der Arbeits- als auch der Kalendertage abweichende Ausführungszeit ergeben. Häufig besteht bei Bauherren in dieser Situation der Wunsch, die durch die verzögerte Zuschlagserteilung entstandenen direkten und indirekten terminlichen Auswirkungen zumindest teilweise zu reduzieren. Für den Fall einer Beschleunigungsanordnung sind auf der Grundlage des Bauablaufplans Soll 2 auch die Auswirkungen dieser Anordnung auf den Bauablauf zu untersuchen. Im Ergebnis der Fortschreibung entsteht der Bauablaufplan Soll 3. Erst dieser Bauablaufplan Soll 3 ist die Grundlage der tatsächlichen Ausführung.

5. Ermittlung monetärer Ansprüche aus der verschobenen Zuschlagserteilung

5.1 Schadensersatzansprüche bis zur wirksamen Zuschlagserteilung

Bei der Anwendung eines Schadensersatzanspruchs aus c. i. c. bestimmt sich dessen Höhe prinzipiell aus der Differenz zwischen der hypothetischen Vermögenslage ohne Behinderung und der tatsächlichen Vermögenslage unter Einschluss des hindernden Ereignisses. Aus der Differenz der Vermögenslagen ohne und mit dem schädigenden Ereignis ermittelt sich der Schaden. So entstehen dem in die Bezugschlagung vertrauenden Bieter bis zum wirksam erteilten Zuschlag vorvertragliche Dispositions- und Bereitstellungskosten, die aber im Einzelfall vom nicht erstattungsfähigen Akquisitionsaufwand beziehungsweise Sowieso-Kosten abgegrenzt werden müssen. Dem beauftragten Unternehmer können darüber hinaus aber auch erhebliche Lücken der Deckung allgemeiner Geschäftskosten entstehen, wenn das unproduktiv gebundene Personal keine anderweitigen Leistungen erbringen und somit keine erforderlichen Deckungsbeiträge erwirtschaften kann.

5.2 Vergütungsansprüche aus geänderter Leistung nach verspätetem Zuschlag

Die Höhe des Vergütungsanspruchs aufgrund der zuschlagsbedingt verschobenen Bauzeit bestimmt sich nach Zuschlagserteilung aus der Preisermittlungsgrundlage, aber auch aus möglicherweise auftretender „Leerarbeit“ und den damit zusammenhängenden „Leerkosten“[12], z. B. aufgrund von vorhersehbaren Produktivitätsverlusten bei einer Verschiebung der Arbeiten in ungünstigere Witterungsperioden zusätzliche Koordinationsleistungen. Die Preisermittlungsgrundlage des Auftragnehmers kann bei Vorliegen der Rentabilitätsvermutung[13] aus der vertragsgerechten Kalkulation abgeleitet werden. Die monetären Folgen der Bauablaufstörungen werden anhand der störungsspezifischen Differenzen zwischen den Bauablaufplänen Soll 0 und Soll 3 sowie den in der Kalkulation definierten Kosten bestimmt.

So kann z. B. der zeitliche Anfall des Einkaufs von Baustahl über die Bauzeit gemäß Angebots-Preisermittlungsgrundlage mit der Situation gemäß Bauablaufplan Soll 3 verglichen werden. Da sich insbesondere die Stahlpreise in den letzten Monaten drastisch erhöht haben, entstehen aus der Verschiebung des Stahleinkaufs erhebliche Mehrkosten für den Unternehmer.

6. Fazit

Durch die tatsächlich erhebliche Dauer von Nachprüfungsverfahren können erhebliche Verschiebungen der geplanten Leistungserbringung eintreten. Dem verspätet beauftragten Bieter entstehen in der Folge vor und nach Zuschlagserteilung neben den unstreitigen terminlichen Auswirkungen z. T. erhebliche Mehrkosten, deren Behandlung der Gesetzgeber für den Fall der Missachtung von Vergabegrundsätzen durch die öffentliche Hand offen gelassen hat. Gleichwohl muss dem Bieter im Vergabeverfahren im Sinne des politisch gewollten Rechtsschutzes ein wettbewerbsneutraler Ausgleich dieser Aufwendungen möglich sein.

Im Sonderfall des Verschuldens des Auftraggebers an der verspäteten Zuschlagserteilung kommt nach Auffassung der Verfasser als monetäre Anspruchsgrundlage nur Schadensersatz aus c. i. c. vor und aus § 6 Nr. 6 VOB/B nach der Zuschlagserteilung in Betracht. In Verbindung mit der vorgeschlagenen baubetrieblichen Verfahrensweise zur Anspruchsermittlung könnte ein Interessenausgleich geschaffen werden, der den Grundgedanken des Bieterschutzes fortführt und den Auftraggeber dennoch vor unberechtigten Nachforderungen schützt.

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[1] Auswertung nach einer Statistik des forum vergabe e.V., veröffentlicht in der Monatsinfo 1/2004.

[2] Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.09.2003 – VergW 4/03, VergabeR 2004, 69 ff.

[3] Vgl. Gröning, BauR 1a/2004, 199, 208.

[4] Vgl. Palandt, 62. Aufl., BGB § 311, Rdn. 40.

[5] Vgl. Vygen: Bauvertragsrecht. 3. Aufl., 1997, Rdn. 795.

[6] Vgl. zusammenfassend Gröning, BauR 1a/2004, 199, 208.

[7] Vgl. Thode, ZfBR 3/2004, 214, 220

[8] Vgl. Putzier/Goede, VergabeR 2003, 391, 397.

[9] Weiterführend Heilfort: Bauablaufstörungen: Anspruchsgrundlage sichern, Baumarkt + Bauwirtschaft, 03/2002, 38.

[10] Vgl. Putzier/Goede, VergabeR 2003, 391, 396.

[11] Weiterführend Heilfort: Bauablaufstörungen – Fristverlängerungsanspruch ermitteln und begründen, Baumarkt + Bauwirtschaft, Heft 11/2002, S. 25 ff.

[12] Vgl. BGH, Urteil vom 20.02.1986, BGHZ 97, 163 ff.

[13] Vgl. Kapellmann/Schiffers: Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag, Band 1, 4. Aufl., 2000, Rdn. 1573 ff.

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