Gestörter Bauablauf: Problem, Definition, Berechnung

Ein gestörter Bauablauf führt unweigerlich zu Produktivitätsverlusten, Mehrkosten und Terminverzögerungen, deren konkrete Verantwortung oft unscharf bleibt. Das Problem von Bauablaufstörungen ist daher Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten.

Gestörter Bauablauf: Auswirkungen auf die Arbeitsstunden des AN

Bauablaufstörungen zählen zu den gravierendsten Ursachen für die Nichterreichung von Projektzielen. Den betroffenen Bauunternehmen drohen nicht nur höhere Kosten durch unproduktiven zusätzlichen oder verlängerten Ressourceneinsatz, sondern unter Umständen auch geringere Erlöse durch den Abzug von Vertragsstrafe oder Schadensersatz. Die nachfolgende Abbildung zeigt das Problem anhand eines typischen Beispiels aus der mehr als 20jährigen Berufserfahrung des Sachverständigen für Bauablaufstörungen.

Gestörter Bauablauf: Auswirkungen von Bauablaufstörungen auf die Leistungserbringung

Gestörter Bauablauf: Auswirkungen von Bauablaufstörungen auf die Leistungserbringung

Die Abbildung 1 zeigt bereits auf den ersten Blick typische Folgen von Bauablaufstörungen: Verschiebung des Arbeitsbeginns, Produktivitätsverluste und Bauzeitverlängerung. Schon aus diesem einfachen Vergleich zwischen dem Lohnstundeneinsatz des Bauunternehmers gemäß  Vertragssoll (Soll 1, blaue Säulen), kalkulatorischem Soll für die Ist-Leistung (Soll 2, blau gestrichelte Linie) und tatsächlicher Leistungserbringung (Ist, rote Linie) ist erkennbar: Der Unternehmer konnte zunächst nicht beginnen, hat dann mit stark erhöhtem Einsatz versucht, seine Leistung fristgerecht zu erbringen, war während der Leistungserbringung behindert und konnte seine Arbeiten nicht zügig abschließen.

Die Folge sind Mehrkosten und Terminverzögerungen, für deren Geltendmachung und Durchsetzung aber ein kausaler Nachweis von Anspruchsgrundlage und Anspruchshöhe jeder einzelnen Bauablaufstörung erforderlich ist, an dem viele Unternehmen scheitern. Nur selten entspricht daher die Kostenverteilung daher den tatsächlichen Verursachungsbeiträgen. Auswirkung des gestörten Bauablaufs auf die kalkulierten Lohnstunden.

Ein gestörter Bauablauf und die Berechnung der Auswirkungen auf die Lohnstunden

Der Musterfall gemäß Abbildung 1 zeigt am Beispiel der Lohnstunden eines Ausbauunternehmens im gestörten Bauablauf, wie sich fortwährende Bauablaufstörungen auswirken: Bei Vertragsschluss wurden insgesamt 29.360 Lohnstunden kalkuliert (Soll 1). Deren Verteilung über die Bauzeit ergibt sich aus einem mit der Ressourcenkalkulation verknüpften Ablaufplan. Abweichungen ergeben sich zunächst aus angeordneten Leistungsänderungen, die das vereinbarte Vertrags-Soll zum letztlich auszuführenden Bau-Soll fortschreiben. Für dieses neue Soll 2 sind kalkulatorisch 37.407 Stunden erforderlich. Bei unverändertem Arbeitskräfteeinsatz resultiert aus den Mehrleistungen eine Bauzeitverlängerung von 6 Wochen. Maßgeblich ist jedoch allein die tatsächliche Bauausführung. So begannen die Bauarbeiten aufgrund verspäteter Vorleistungen 13 Wochen später und dauerten dann wegen weiterer Baubehinderungen auch erheblich länger an.

Der Auftragnehmer hat insgesamt 59.330 Lohnstunden erbracht, 21.923 Stunden oder 59 % mehr als gemäß Soll 2 erforderlich gewesen wäre. Ursache der Mehrstunden waren im begutachteten Fall Produktivitätsverluste aufgrund verschiedenster, meist kleinerer und lokal begrenzter Störungen, die jede für sich genommen relativ unerheblich war, die sich in der Summe aber massiv auf die Arbeitsproduktivität und die Herstellkosten auswirkten. Es kommt also darauf an, die Produktivitätsverluste so früh wie möglich zu erkennen, anzuzeigen und zu erfassen – und zwar im Idealfall für jede einzelne Bauablaufstörung.

Definition gestörter Bauablauf, Bauablaufstörung und Baubehinderung

In der VOB/B taucht nur der Begriff der Behinderung (synonym Baubehinderung) auf. Gemäß § 6 Abs. 1 VOB/B ist der Auftragnehmer einer Bauleistung verpflichtet, dem Auftraggeber schriftlich eine Behinderungsanzeige einzureichen, wenn er sich in der ordnungsgemäßen Ausführung der Bauleistungen behindert glaubt. Baubehinderungen sind damit alle Bauablaufstörungen mit negativen Folgen für die Leistungserbringung des Auftragnehmers, für die die Anspruchsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 VOB/B erfüllt sind.

Der Begriff der Bauablaufstörung ist hingegen weiter gefasst, aber ebenfalls nicht einheitlich definiert (zur Herleitung der Definition siehe Heilfort, Ablaufstörungen in Bauprojekten, 2003, S. 35 ff.). Bauablaufstörungen sind demnach allgemein alle im Rahmen des Controllingprozesses festgestellten Differenzen zwischen vertragsgerechten Referenz- und äquivalenten Beobachtungszuständen in der Wertschöpfung eines Bauprojektes, die auf konkrete Ursachen zurückgeführt werden. In Abgrenzung dazu lassen sich für Bauablaufschwankungen gerade keine konkreten Ursachen feststellen.

Ein gestörter Bauablauf ist damit ein Oberbegriff, der alle Abweichungen vom geplanten Bausoll umfasst.

Ein gestörter Bauablauf  und dennoch Probleme mit dem Bauzeitnachtrag

Die Rechtsprechung stellt hohe Anforderungen an den Nachweis der Auswirkungen von Bauablaufstörungen. Selbst wenn die Ursache einer Bauablaufstörung von allen Projektbeteiligten gleichermaßen anerkannt wird, kommt es hinsichtlich der terminlichen und erst recht der monetären Ansprüche oft zu unterschiedlichen Beurteilungen. Oft können Fragen zur Störungsdauer, zum Einfluss auf Bauzeit und Fertigstellungstermine oder zur Schadensminderungspflicht des Auftragnehmers nicht einvernehmlich geklärt werden. Der vom BGH geforderte, einzelfallspezifische Nachweis des adäquat-kausalen Zusammenhangs zwischen Ursache und Auswirkung einzelner Behinderungen kann im Bestreitensfall von den betroffenen Bauunternehmern oft nicht in der erforderlichen Detailschärfe beigebracht werden.

Die Probleme des Bauunternehmers beruhen meist auf folgenden Ursachen:

  • Der Zusammenhang zwischen Kosten- und Ablaufplanung wird bereits bei Vertragsschluss nicht oder nicht eindeutig dokumentiert.
  • Änderungen des geplanten Bauablaufs werden inhaltlich und ursächlich nicht dargestellt.
  • Die Erfassung des tatsächlichen Bauablaufs erfolgt unvollständig oder ohne konkreten Bezug zum Ablaufplan.
  • Behinderungen werden nicht oder nicht rechtzeitig erkannt und angezeigt.
  • Es werden nur Behinderungsursachen, aber keine Behinderungsauswirkungen erfasst.
  • Auswirkungen innerbetrieblicher Bauablaufstörungen und Beschleunigungen bleiben unberücksichtigt.
  • Zur Anspruchsbegründung können im Nachhinein zwar die hindernden Umstände, nicht aber deren konkrete Auswirkungen justiziabel vorgetragen werden.

Ursachen für die mangelnde Durchsetzbarkeit von Nachtragsforderungen aus Bauablaufstörungen

Ursachen für mangelnde Durchsetzbarkeit von Mehrkosten aus Bauablaufstörungen

Ursachen für mangelnde Durchsetzbarkeit von Mehrkosten aus Bauablaufstörungen

In einer Umfrage an der TU Dresden sollten die befragten Bauunternehmer selbst die Ursachen für die mangelnde Durchsetzbarkeit von Nachtragsforderungen aus einem gestörten Bauablauf einschätzen: Gemäß der nachfolgenden Abbildung wurde als größtes Problem der Kostendruck durch den Auftraggeber (80 %) bewertet. Unmittelbar danach folgen Nachweisprobleme bei der Anspruchsgrundlage von Baubehinderungen (65 %) sowie eine unzureichende Dokumentation von Bauablaufstörungen (54 %). Die Bauunternehmer sind sich damit zwar der Bedeutung von Schlüsselqualifikationen für die Bauleitung bewusst, schätzen ihre Fähigkeiten zum Nachweis der Anspruchsgrundlage für Baubehinderungen jedoch als durchaus verbesserungswürdig ein. Im Ergebnis auch dieser Umfrage bietet der Sachverständige seit 2004 Seminare an, die genau bei den erkannten Problemen ansetzen und eine Verbesserung des Know-hows der Bauunternehmer erreichen sollen.

Gestörter Bauablauf: Hohe juristische Anforderungen an die Abrechnung der Mehrkosten von Baubehinderungen

Mit Urteil vom 24.02.2005 (VII ZR 141/03) hat der BGH die hohen Anforderungen an den baubetrieblichen Nachweis von Schadensersatzansprüchen nach § 6 Nr. 6 VOB/B erneut bestätigt und insbesondere auf die unterschiedlichen Beweisanforderungen an die so genannte haftungsbegründende Kausalität und die haftungsausfüllende Kausalität hingewiesen. Soweit demnach die Behinderung darin besteht, dass bestimmte Arbeiten nicht oder nicht in der vorgesehenen Zeit durchgeführt werden können, ist sie nach allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast zu beurteilen. Der Auftragnehmer hat deshalb für die sogenannte haftungsbegründende Kausalität nach § 286 ZPO Beweis dafür zu erbringen, wie lange die konkrete Behinderung andauerte.

Dagegen können die weiteren Folgen der konkreten Behinderung (haftungsausfüllende Kausalität), soweit sie nicht mehr zum Haftungsgrund gehören, sondern dem durch die Behinderung erlittenen Schaden zuzuordnen sind, nach § 287 ZPO geschätzt werden. Es kann deshalb zum Beispiel qualifiziert geschätzt werden, inwieweit eine konkrete Baubehinderung von bestimmter Dauer zu einer Verlängerung der gesamten Bauzeit geführt hat, weil sich Anschlussgewerke verzögert haben.

Ein zur Untermauerung des Anspruchs aus Baubehinderungen gemäß § 6 Nr. 6 VOB/B vorgelegtes Privatgutachten ist qualifizierter Parteivortrag und deshalb vom Tatrichter vollständig zu berücksichtigen und zu würdigen.

Notwendigkeit bauablaufbezogener Darstellungen

Bereits mit Urteil vom 21.03.2002 (VII ZR 224/00) hatte der BGH die Anforderungen an die Nachweisführung von Baubehinderungen und insbesondere die notwendige Betrachtung der tatsächlichen Bauausführung wie folgt definiert: Der Auftragnehmer muss eine Baubehinderung, aus der er Schadensersatzansprüche ableitet, möglichst konkret darlegen. Dazu ist zusätzlich zur Behinderungsanzeige gemäß § 6 Abs. 1 VOB/B in der Regel auch dann eine bauablaufbezogene Darstellung notwendig, wenn feststeht, dass die freigegebenen Ausführungspläne nicht rechtzeitig vorgelegt worden sind. Allgemeine Hinweise darauf, dass die verzögerte Lieferung freigegebener Pläne zu Bauablaufstörungen und zu dadurch bedingten Produktivitätsverlusten geführt habe, die durch Beschleunigungsmaßnahmen ausgeglichen worden seien, genügen den Anforderungen an die Darlegungslast einer Baubehinderung nicht. Sie sind auch keine geeignete Grundlage für eine Schadensschätzung.

Weiterführende Literatur zum gestörten Bauablauf und zur Abrechnung von Baubehinderungen

Grundlage der einzelnen angebotenen Leistungen ist eine wissenschaftliche Herangehensweise. Die Erfahrungen aus der unternehmerischen, beratenden und gutachtlichen Praxis sowie aus der baubetrieblichen Forschungs- und Lehrtätigkeit wurden bereits in zahlreichen Veröffentlichungen publiziert, die sich vorrangig an Bauherren und Bauunternehmer, aber auch an Juristen, Kaufleute und Architekten richten. Lesen Sie insbesondere die folgenden Veröffentlichungen zu Forschungsarbeiten:

36 | Heilfort | § 6 Abs. 2 VOB/B: Ab wann gelten Witterungseinflüsse als Behinderung? In: Neues zu Zeit und Geld – Antworten auf aktuelle Fragen der Nachweisführung bei Bauablaufstörungen. Festschrift für Andreas Lang zum 60. Geburtstag, id-Verlag, 2017, S. 513-531

35 | 2017 | Heilfort: Vorgehensweise zum Nachweis von Bauablaufstörungen auf Grundlage der aktuellen Rechtsprechung. BauR 02/2017, S. 178 – 188

34 | 2012 | Heilfort: Preisermittlung nach § 2 Abs. 5 VOB/B – Gut bleibt gut und schlecht bleibt schlecht?, Vortrag, VSVI Hessen, Friedberg 2012

33 | 2011 | Heilfort: Praktische Umsetzung der stammdatenorientierten Bauablaufplanung, Festschrift anlässlich des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Rainer Schach, 2011, S. 163 – 167

32 | 2010 | Heilfort: Behinderungen wegen Winterwetters?, Baumarkt + Bauwirtschaft, Heft 12/2010, S. 50 – 53

31 | 2010 | Heilfort: Durchführung eines differenzierten Gemeinkostenausgleichs für Allgemeine Geschäftskosten im gestörten Bauablauf, BauRecht, Heft 10/2010, S. 1673 – 1680

30 | 2010 | Heilfort: Nachweis der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden terminlichen Kausalität von Bauablaufstörungen mit dem Bauablauf-Differenzverfahren – ein Bericht aus der Praxis, BauRecht, Heft 1/2010, S. 25 – 31

26 | 2004 | Heilfort/Zipfel: Abrechnung der Folgen von Bauablaufstörungen im VOB-Vertrag, Baumarkt + Bauwirtschaft, Heft 9/2004, S. 22 – 26

25 | 2005 | Heilfort/Zipfel: Ermittlung terminlicher und monetärer Ansprüche des beauftragten Bauunternehmers bei vom AG zu vertretender Verzögerung der Zuschlagserteilung, VergabeRecht, Heft 1/2005, S. 38 – 43

23 | 2003 | Heilfort: Grundlagen des praktischen Termincontrollings, Baumarkt + Bauwirtschaft, Heft 10/2003, S. 27 – 29

22 | 2003 | Heilfort: Ablaufstörungen in Bauprojekten – Einflussfaktoren für die Terminsicherung im Bauprojektmanagement, Renningen, expert-Verlag, 2003

21 | 2003 | Heilfort: Besonderheiten der Entstehung, Auswirkung und Darstellung von Bauablaufstörungen in leistungsflexiblen Gewerken, zugleich Anm. zu BGH, Urteil vom 19.12.2002, BauRecht, Heft 11/2003, S. 1646 – 1649

20 | 2003 | Heilfort: Den Bauablauf sicher im Griff, Teil 3 – Power Project, Trockenbau + Akustik, Heft 7-8/2003, S. 50 – 52

19 | 2003 | Heilfort: Den Bauablauf sicher im Griff, Teil 2 – MS Project, Trockenbau + Akustik, Heft 6/2003, S. 46 – 48

16 | 2002 | Heilfort: Bauablaufstörungen: Fristverlängerungsanspruch ermitteln und begründen, Baumarkt + Bauwirtschaft, Heft 11/2002, S. 25 – 28

11 | 2002 | Heilfort: Software zur Anspruchssicherung bei Bauablaufstörungen prämiert, Baumarkt + Bauwirtschaft, Heft 3/2002, S. 50

10 | 2003 | Heilfort: Praktische Umsetzung bauablaufbezogener Darstellungen von Behinderungen als Grundlage der Schadensermittlung nach § 6 Nr. 6 VOB/B, BauRecht, Heft 4/2003, S. 457 – 461

08 | 2001 | Heilfort: General- und Nachunternehmer: Spannungsverhältnis oder Symbiose?, Trockenbau + Akustik, Heft 11/2001, S. 72 – 73

07 | 2001 | Heilfort: Partnerschaftliches Management von Bauablaufstörungen – Mehr Erfolg durch Kooperation, Bauwirtschaft, Heft 9/2001, S. 28 – 29

04 | 2001 | Heilfort: Nachunternehmer – Leistungsträger der Bauausführung: Ausgewählte Ergebnisse einer Befragung von Nachunternehmern in Sachsen (D) und Illinois (USA), Vortrag zum 12. Assistententreffen der Bereiche Bauwirtschaft, Baubetrieb, Bauverfahrenstechnik an der TU Wien, 2001

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