Dissertation: Ablaufstörungen in Bauprojekten

Die Dissertation „Ablaufstörungen in Bauprojekten“ befasst sich auf statistischer Grundlage mit Einflussfaktoren für eine erfolgreiche Terminsicherung.

Quellenangabe: Heilfort, Ablaufstörungen in Bauprojekten, Renningen, expert-Verlag, 2003, ISBN 3-8169-2301-1

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Ablaufstörungen in Bauprojekten – Empirische Analysen, individualökonomische Erklärungsan­sätze und vertragsrechtliche Lösungsvorschläge zur Nutzbar­machung kooperativer Verhaltensmuster für den Projekterfolg

1 Einführung

1.1 Problemstellung

Anders als etwa die Erzeugung von Industrieprodukten ist der Prozess des Errichtens oder Erneuerns baulicher Anlagen von einer kontinuierlichen, langfristigen Interaktion zwischen vielen verschiedenen Institutionen geprägt[1]. Bei größtmöglicher Arbeitsteilung führt ein komplexes System von Auftraggebern und Auftragnehmern, Anweisenden und Ausführenden, Planern und Überwachern zu einer dynamischen Produktionsstruktur, in der Abweichungen der tatsächlichen von der geplanten Ausführung eher Regel als Ausnahme sind[2]. So dürfte bereits der Turmbau zu Babel aufgrund eines kommunikationsbedingt gestörten Bauablaufs gescheitert sein[3]. Auch im Jahr 1885 wurden von Huber[4] Bauvorhaben beschrieben, bei denen „die Arbeitsleistung in Folge Verschuldens Dritter oder der Beamten, wegen Verzögerung (fremder) Vorarbeiten, mangelnder Pläne etc. überhaupt lange Zeit nicht begonnen wird, bzw. zeitweilige Unterbrechung der Ausführung oder deren gänzliche Einstellung eintritt“.

Ursachen und Auswirkungen eines von der geplanten Produktionsdurchführung abweichenden Bauablaufs sollten daher auch im Kontext individuell agierender Baubeteiligter betrachtet werden. So beginnen Unterschiede im Verständnis von Abweichungen im Bauablauf bereits bei den begrifflichen Grundlagen: Bauherren sprechen und schreiben fast ausschließlich von „Terminverzug“, „Terminverzögerung“ oder „Bauzeitverlängerung“, Begriffe, die auf die Abweichung von geplanten oder erwarteten Zielgrößen abstellen. Mit zunehmender Nähe zur eigentlichen Bauausführung als dem Prozess der Zielerreichung dominiert der Begriff „Bauablaufstörung“, der sich auch im baubetriebswissenschaftlichen Sprachgebrauch durchgesetzt hat. Juristen wiederum verwenden fast ausschließlich den Behinderungsbegriff[5].

Schon aus dieser Begriffswahl ist erkennbar: Die Baubeteiligten denken und sprechen in Kategorien, die ihrer Erwartungshaltung entsprechen: Bauherren verfolgen Kosten-, Termin- und Leistungsziele[6], wobei der Art und Weise der Zielerreichung nur nachrangige Bedeutung beigemessen wird[7]. Die Errichtung ist aus dieser Perspektive nur eine Phase im Lebenszyklus eines Bauwerkes[8]. Erfolge werden am Gesamtprojekt gemessen, nicht nur an der Bauleistung. So kann der Einfluss der Bauwerkserrichtung auf Liquidität, Rentabilität und Verschuldungsgrad eines Auftraggeber-Unternehmens[9] zwar erheblich sein, ist aber letztlich nur ein Einflussfaktor von vielen.

Anders verhält es sich auf Seiten der Bauunternehmen: Die Errichtung von Bauwerken ist hier meist alleiniger unternehmerischer Zweck. Liquidität, Rentabilität und Verschuldungsgrad eines Auftragnehmer-Unternehmens werden allein durch die mehr oder minder erfolgreiche Abwicklung von Bauaufträgen bestimmt[10]. Ein gewinnorientiertes Unternehmen muss also auf den monetären Erfolg der Bauwerkserrichtung setzen, Ausgleichsmöglichkeiten in vor- oder nachgelagerten Projektphasen existieren regelmäßig nicht.

Aus dieser unterschiedlichen unternehmerischen Bedeutung der Bauwerkserrichtung für Auftraggeber und Auftragnehmer ergeben sich unterschiedliche Zielgrößen und Betrachtungstiefen, aber auch unterschiedliche Verhaltensweisen. Der Auftraggeber erwartet die Einhaltung seiner Termin-, Kosten- und Leistungsziele, die nur Mittel zum Zweck eines (monetär) erfolgreichen Gesamtprojektes sind[11]. Der Auftragnehmer hingegen erwartet die Einhaltung der von ihm getroffenen Annahmen zu den Produktionsbedingungen und die Mithilfe bei Problemlösungen[12], wiederum als Mittel zum Zweck eines erfolgreichen, gewinnbringenden Projektes.

Letztlich bestimmen also nicht allein die Produktionsbedingungen über das Auftreten von Bauablaufstörungen, sondern auch Erwartungen, Ziele und Verhalten der Marktteilnehmer. Je knapper dabei die tolerierbaren Zielabweichungen ausfallen, desto eher führen Abweichungen zu Störungen und Behinderungen. Eine Verschärfung des Verhaltens durch Perfektionierung der Anspruchssicherung bringt folglich keine Vertragspartei weiter[13].

1.2 Ziel und Abgrenzung dieser Arbeit

Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist eine empirische Untersuchung, wonach in der Baupraxis 56 % aller Bauvorhaben gestört sind – mit erheblichen Kostenfolgen für Auftragnehmer und Auftraggeber[14]. Eine Vielzahl baubetrieblicher Forschungsarbeiten hat sich mit Mehrkostenermittlung, Schadensberechnung und der Verbesserung der Anspruchsgrundlage beschäftigt. Die baubetriebliche Verlustquellenforschung[15] beginnt aber meist erst beim tatsächlichen Auftreten von Abweichungen im Projektablauf, zum Beispiel bei verspäteten Planlieferungen, Vorunternehmerleistungen und dergleichen.

Erkenntnisgegenstand der vorliegenden Arbeit sind Bauablaufstörungen als spezielle Form von Zustandsdifferenzen im Bauprojektablauf[16]. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, ob sich – wie vermutet – ein Einfluss des Kooperationsgrades der Baubeteiligten[17] auf die Häufigkeit von Bauablaufstörungen nachweisen lässt.

Das Erkenntnisziel liegt in der Überprüfung der These, wonach mangelnde Kooperation zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer eine indirekte Ursache für das Auftreten von terminverlängernden Bauablaufstörungen ist. Die Ursachen des Zusammenhangs sollen analysiert und Maßnahmen für die Vermeidung von Bauablaufstörungen und deren negativer Auswirkungen auf die Erreichung vor allem der terminlichen Projektziele vorgeschlagen werden.

Die inhaltliche Abgrenzung zu anderen Arbeiten des Forschungsgebietes erfolgt durch die Erweiterung des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs von Bauablaufstörungen auf das Verhalten der Baubeteiligten. Der klassische, juristisch geprägte Begriff der adäquaten Kausalität[18] wird zwar als Basis für die Darstellung von Ansprüchen aus Bauablaufstörungen verfolgt, aber im Interesse der Störungsvermeidung ergänzt um die Analyse indirekter, möglicherweise nicht adäquater Wirkzusammenhänge.

1.3 Formulierung des Lösungsweges

Die Nachweisführung zur Untermauerung der zentralen These soll deduktiv erfolgen. Die einzelnen Kapitel sind Teilschritte, die sich beginnend bei allgemeinen Darstellungen und Überlegungen anhand einer empirischen Untersuchung sowie Beispielen und Überlegungen zunehmend den besonderen Aspekten der eingangs aufgestellten These widmen und schließlich konkrete Lösungsvorschläge unterbreiten.

Das Kapitel 1 dient der Einführung, Abgrenzung und Schwerpunktsetzung des Themas.

Das Kapitel 2 befasst sich mit Grundlagen des Forschungsgebietes. Im Mittelpunkt stehen die unterschiedlichen Perspektiven auf das Problemfeld Bauablaufstörungen sowie wesentliche Begriffsbestimmungen im Bezugsrahmen dieser Arbeit. Ziel der Charakterisierung baubetriebswissenschaftlicher, juristischer und managementorientierter Perspektiven ist die Einordnung dieser Arbeit in das Umfeld aus Forschung, Rechtsprechung und Baupraxis und die Betonung eines ganzheitlichen Forschungsansatzes an der Schnittstelle ingenieurwissenschaftlicher, kaufmännischer und juristischer Fachgebiete.

Das Kapitel 3 befasst sich mit der Terminologie und Systematik von Bauablaufstörungen und deren Einordnung in Zustandsdifferenzen im Bauablauf. Es werden unterschiedliche Begriffsverständnisse vorgestellt, analysiert und in Hinblick auf die hier maßgebliche Betrachtungsweise definiert. Ziel dieses Kapitels ist ein Beitrag zur Vereinheitlichung der je nach Betrachtungsperspektive häufig unterschiedlich verwandten Begriffe.

Im Kapitel 4 wird sekundärstatistisch untersucht, ob sich für typische Bauablaufstörungen die vermutete Abhängigkeit vom Kooperationsgrad empirisch nachweisen lässt. Basis der Analyse ist eine schriftliche Unternehmerbefragung[19], aus deren Rohdaten Häufigkeiten und Verteilungen typischer Bauablaufstörungen entwickelt und schließlich auf Korrelation mit dem Kooperationsverhalten der Baubeteiligten untersucht werden.

Das Kapitel 5 bietet einen Erklärungsansatz für die empirisch gefundenen Ergebnisse an, indem auf Bedeutung und Determinanten der Interaktion aller Baubeteiligten abgestellt wird. Ausgangspunkt ist das in den verschiedenen Bauprojektphasen von unterschiedlichen Rahmenbedingungen abhängige Verhalten der Baubeteiligten. Ziel dieses Kapitels ist die Systematisierung der phasenspezifischen Rahmenbedingungen, der ökonomisch rationalen Entscheidungsprobleme und Verhaltensweisen von Auftraggeber und Auftragnehmer sowie die Analyse der in der VOB/B bereits vorhandenen Instrumentarien zur Regelung der Zusammenarbeit zwischen den Baubeteiligten. Die Erläuterungen stellen auf die zum Zeitpunkt der empirischen Untersuchung aktuelle VOB/B (Fassung 2000) ab[20]. Es wird gezeigt, dass in jeder Phase ein unterschiedliches Stärkeprofil von Auftraggeber und Auftragnehmer vorherrscht, aus dem in besonderer Weise Konflikte und damit Bauablaufstörungen herrühren.

Im Mittelpunkt des Kapitels 6 steht als Lösungsansatz die Konzeption einer homogen-kooperativen Projektinteraktion mit dem Ziel, Bauablaufstörungen zu vermeiden. Für die einzelnen Bauprojektphasen werden aus den empirisch gefundenen und entscheidungstheoretisch interpretierten Ergebnissen praxisorientierte Lösungsvorschläge unterbreitet.

Das Kapitel 7 fasst die Arbeit zusammen, stellt Ergebnisse dar und gibt einen Ausblick auf die Notwendigkeit weiterer Forschungsarbeiten.

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[1] Vgl. Ingenstau/Korbion: VOB-Kommentar, 14. Aufl., Düsseldorf, Werner, 2000, Einleitung, Rdn. 9.

[2] Vgl. Werner/Pastor/Müller: Baurecht von A – Z. 6. Aufl., München, Beck, 1995, S. 239.

[3] Vgl. Bartsch-Beuerlein/Klee: Projektmanagement mit dem Internet. München, Hanser, 2001, S. 11.

[4] Huber, F. C.: Das Submissionswesen. Tübingen, Verlag der H. Lauppschen Buchhandlung, 1885, S. 274. Vgl. auch Kirsch, W. M.: Das deutsche Verdingungswesen. Stuttgart, C. E. Poeschel Verlag, 1936, S. 61 f.

[5] Zur Problematik der Begriffsdefinition und -abgrenzung im Allgemeinen vgl. Scheifele, D. R.: Bauprojektablauf. Köln, Verlag TÜV Rheinland, 1991, S. 9. Schach/Sperling beschreiben eine ähnliche Situation für den Kostenbegriff. Vgl. Schach/Sperling: Baukosten. Berlin u. a., Springer, 2001, S. 125 f.

[6] Eine Umfrage der Dresden Business School unter 100 Bauherren und größeren Bauunternehmen hat gezeigt, dass die Kosteneinhaltung bei der Durchführung von Bauleistungen mit 96 % und die Termineinhaltung mit 95 % an der Spitze der abgefragten Wichtigkeitskriterien rangieren. Zufrieden sind aber nur 61 % (Termineinhaltung) beziehungsweise 57 % (Kosteneinhaltung) der Bauherren. Vgl. Schach/Töpfer/Karnani: Kundenzufriedenheit bringt Wettbewerbsvorteile. In: Baumarkt, Heft 10/2001, S. 32 – 36, hier S. 33.

[7] Vgl. Egloff, M.: Ziele und Lenkungsmöglichkeiten des Bauherrn. Diss., ETH Zürich, vdf, 1996, S. 16.

[8] Vgl. Nickel, E.: Computergestützte Projektinformationssysteme. Diss., Universität Frankfurt a. M., Idstein, Schulz-Kirchner Verlag, 1985, S. 70.

[9] In der Regel werden in dieser Arbeit privatrechtlich organisierte, institutionelle Auftraggeber betrachtet.

[10] Einige größere Bauunternehmen haben die Gefährlichkeit dieser Einproduktausrichtung für den Unternehmensbestand erkannt und versuchen zu diversifizieren, indem neben der eigentlichen Bauleistung auch Dienstleistungen wie Entwicklung, Planung und Betrieb von Bauwerken angeboten werden. Vgl. zum Beispiel Bilfinger Berger AG (Hrsg.): Geschäftsbericht 2001. Mannheim, Eigenverlag, 2001, S. 9; Hochtief AG (Hrsg.): Geschäftsbericht 2001. Essen, Eigenverlag, 2001, S. 6. Vgl. auch Möller/Kalusche: Planungs- und Bauökonomie – Band 2: Grundlagen der wirtschaftlichen Bauausführung. 4. Aufl., München, Oldenbourg, 2000, S. 11.

[11] Vgl. Vygen/Schubert/Lang: Bauverzögerung und Leistungsänderung. 3. Aufl., Wiesbaden/Berlin, Bauverlag, 1998, Rdn. 6.

[12] Vgl. Patzak/Rattay: Projektmanagement. 3. Aufl., Wien, Linde, 1998, S. 517.

[13] Vgl. Schlapka, F.-J.: Das Kooperationsmodell macht das Kriegsbeil überflüssig. In: Immobilien Zeitung, 17/2001, S. 9.

[14] Vgl. Heilfort, Th.: Bauablaufstörungen – Mehr Erfolg durch Kooperation. In: Bauwirtschaft 9/2001, S. 28.

[15] Ulle definiert Verlustquellen als „ Stellen, an denen höhere Kosten als notwendig entstehen […]“. Ulle, J.: Verlustquellenforschung auf Baustellen. Diss., Universität Stuttgart, Wiesbaden/Berlin, Bauverlag, 1971, S. 11.

[16] Bauprojekte haben die Errichtung, den Umbau oder den Abriss baulicher Anlagen zum Ziel.

[17] Als Kooperationsgrad wird in dieser Arbeit das Maß der kooperativen Zusammenarbeit am Bau definiert.

[18] Kausal ist jedes Ereignis, ohne das eine Wirkung nicht denkbar wäre. Die Adäquanztheorie nimmt dann eine juristisch wertende Einschränkung der naturwissenschaftlichen Kausalitäten vor. Vgl. Palandt, O. (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch, 59. Aufl., München, Beck, 2000, BGB Vorbem. v. § 249 Rdn. 58.

[19] Kropff, A.: Die Koordination von Subunternehmern. Diplomarbeit, TU Dresden, 2000.

[20] Aus der am 29.10.2002 veröffentlichten Neufassung der Teile der A und B der nunmehr „Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen“ genannten VOB ergeben sich bezüglich der erläuterten Sachverhalte keine beziehungsweise nur geringe Änderungen.

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