Abrechnung von Stahlmehrkosten

Der Beitrag zeigt, wie die Ermittlung von Stahlmehrkosten unter Berücksichtigung von Bauzeitverschiebungen auf Grundlage der Urkalkulation erfolgen kann. Entsprechend der aktuellsten Rechtsprechung (2017) sollte die Nachweisführung immer auf Grundlage der tatsächlichen Mehrkosten erfolgen.

Quellenangabe: Heilfort, Abrechnung von Stahlmehrkosten, Baugewerbe, Heft 13-14/2004, S. 44 – 45. Download pdf-Datei

Voraussetzungen für die Mehrkostenabrechnung

Prinzipiell unterliegen Bauverträge der Preisbindung. Der Auftragnehmer kann somit gestiegene Faktorkosten nicht ohne weiteres an den Auftraggeber weiterreichen. Ausnahmen von dieser Regel sind beim VOB-Vertrag aber z. B. in folgenden Fällen zulässig:

  • Behinderungen während der Bauzeit führen zu verzögertem Material- oder Fremdleistungseinkauf;
  • AN und AG vereinbaren nachträglich eine Anpassung der Preise.

Nachfolgend wird die Vorgehensweise zur Ermittlung von stahlpreisbedingten Mehrkosten aufgrund von auftraggeberseitig zu vertretenden Bauablaufstörungen erläutert.

Prinzip der Mehrkostenermittlung

Die Einzelkosten der Teilleistungen werden direkt und indirekt von den Marktpreisen für Stahlprodukte beeinflusst. Der Stahlpreis geht als Kostenposition für den Produktionsfaktor Stahl in die Kalkulation des Auftragnehmers ein. Direkte Kosten entstehen über den Preis selbst. Indirekte Kosten entstehen dann, wenn aufgrund einer insgesamt verschlechterten Angebotssituation erhöhte Transaktionskosten entstehen. b27-ermittlung-von-stahlmehrkosten-histogramm

Ein Beispiel ist der Bezug von Fertigteilen, die bei Lieferschwierigkeiten des vorgesehenen Lieferanten nun von einem anderen, nicht nur teureren, sondern auch weiter entfernten Hersteller bezogen werden müssen. Unter Umständen können sogar Kündigungskosten für bestehende Lieferverträge entstehen, wenn dem vertraglich gebundenen Fertigteilwerk der Auftrag im Interesse der angemessenen Förderung des Baufortschritts bei von ihm unverschuldeten Lieferengpässen der Auftrag entzogen werden muss. Bei verlängerten Lieferfristen können zudem Beschleunigungsmaßnahmen für den übrigen Bauablauf erforderlich werden.

Die Mehrkosten aus der gegenwärtigen Stahlpreiserhöhung können somit höher liegen, als es die Entwicklung der Stahlpreise erwarten lässt.

Mit Rundschreiben vom 17.05.2004 zur „Anwendung der Stoffpreisgleitklausel – Auswirkungen der Unsicherheit auf dem Stahlpreismarkt“ hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) für Baumaßnahmen im Bundesfernstraßenbau die Anwendung einer mengenorientierten Mehrkostenermittlung in Form einer Stoffpreisgleitklausel vorgeschlagen, die in Ausnahmefällen sogar zur Preisanpassung für bereits bestehende Verträge führen kann. Kern der Verfahrensweise ist ein Stoffpreisverzeichnis für Stahlprodukte, für die ein vom Auftraggeber festgelegter, stichtagsbezogener Marktpreis festgelegt wird.

Tatsächlich aber ist bei einer Übertragung der Regelung auf den Hochbau die Mehrkostenermittlung unter anderem aus den folgenden Gründen problematisch:

  • Im Einheitspreisvertrag werden LV-Mengen nur im Ausnahmefall als reine Materialpositionen ausgeschrieben; Funktionalausschreibungen liegen überhaupt keine detaillierte Mengenermittlungen zugrunde;
  • Die überwiegende Zahl der von Stahlpreiserhöhungen betroffenen Positionen sind Mischpositionen, in denen Stahlprodukte zwar enthalten, aber nicht explizit ausgewiesen oder ausweisbar sind, z. B. in einer nach Quadratmeter abzurechnenden Position „Außenputz“, die auch Putzschienen enthält;
  • Selbst Einheitspreise (oder interne Kalkulationsansätze) für reine Materialpositionen wie Bewehrungsstahl enthalten neben den Faktorkosten für Stahlprodukte mindestens weitere, angebotsindividuell kalkulierte Zuschläge für Baustellengemeinkosten, Allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn;
  • Eine einmalige Preisanpassung ist dann unzureichend, wenn der AN sein Angebot in einer Phase weitgehender Preisstabilität mit langfristiger Preisbindung der Lieferanten erstellt hat, durch eine erhebliche Verschiebung der Bauzeit nunmehr aber steigenden Preisen ausgesetzt ist, die von den Lieferanten zudem nur als Tagespreise ohne Bindewirkung angeboten werden;
  • Über die reine Preissteigerung hinaus können weitere Mehrkosten entstehen, wenn sich zum Beispiel die Einkaufssituation so verändert hat, dass die ursprünglich geplanten, nach früheren Maßstäben ausreichenden Lieferzeiten nunmehr gravierend überschritten werden und sich dadurch Behinderungen des Bauablaufs beziehungsweise Beschleunigungen mit den entsprechenden Mehrkosten ergeben;
  • Die Preisermittlungsgrundlage spielt bei der mengenorientierten Kostenerstattung auf Basis vorbestimmter Marktpreise keine Rolle mehr, was zu einer Einschränkung der Transparenz des Wettbewerbs führt.

Damit ist die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) vorgeschlagene, mengenorientierte Betrachtung im Hochbau nur in Ausnahmefällen praktikabel. Der Vorteil dieser Lösung liegt zwar in einer sehr differenzierten Feststellung gestiegener Faktorkosten, da sich zum Beispiel der Einkaufspreis für Bewehrungsstahl anders entwickelt als der für Putzschienen. Bei einer separaten Erfassung aller stahlpreisabhängigen Lieferungen und Leistungen wäre dann aber auch die separate Feststellung der jeweiligen Preisindizes erforderlich. Dadurch steigt der Aufwand zur Erfassung und Abrechnung der Mehrkosten bis hin zur Unverhältnismäßigkeit. Vor allem aber ist die Loslösung von der Preisermittlungsgrundlage bei Vergütungsansprüchen beziehungsweise der Soll-Vermögenslage bei Schadensersatz¬ansprüchen abzulehnen.

Relationale Mehrkostenermittlung

Der Berechnungsvorschlag zielt auf eine anspruchsspezifische Berechnung der Mehrkosten aus erhöhten Faktorkosten Stahl unter relationaler Berücksichtigung der Preisermittlungsgrundlage bzw. der Soll-Vermögenslage ohne Störung ab: Beruhen die Mehrkosten aus Stahlpreiserhöhungen auf einer freien Anordnung des Auftraggebers, zum Beispiel auf Bauzeitverschiebung, ist die Grundlage der Berechnung die Preisermittlungsgrundlage. Geht die Störungsursache auf eine Pflichtverletzung zurück, zum Beispiel durch verspätete Bereitstellung eines baureifen Grundstücks, werden die Mehrkosten als Differenz zur Soll-Vermögenslage abgerechnet. Beide Verfahren unterscheiden sich für einen korrekt kalkulierenden Unternehmer im konkreten Fall vor allem hinsichtlich der Zuschläge für Wagnis und Gewinn, da die Stahlpreiserhöhung auch als Vergütungsanspruch mangels fortschreibbarer Ausgangsdaten in der Kalkulation auf Basis der tatsächlich gestiegenen Faktorkosten berechnet werden muss.

Die Mehrkosten umfassen somit die stichtagsbezogene Differenz zwischen zwei beliebigen Zuständen: Referenzzustand (z. B. Vertrags-Soll) und Beobachtungszustand (z. B. Bau-Ist).

Zur Ermittlung der Auswirkungen gestiegener Stahlkosten durch den betroffenen Bauunternehmer ist damit darzulegen, in welchem Umfang der Stahlpreis in die ursprüngliche Preisermittlungsgrundlage (bzw. Soll-Vermögenslage) des AN eingeht und wie sich dieser Input aufgrund geänderter Rahmenbedingungen geändert hat.

Daher wird vorgeschlagen, die Mehrkostenermittlung prinzipiell auf der Preisermittlungsgrundlage oder, wenn der Verschiebung der Leistungserbringung des Auftragnehmers eine Pflichtverletzung des Auftraggebers zugrunde liegt, auf der durch die Preisermittlungsgrundlage mit bestimmten Soll-Vermögenslage aufzubauen. Ziel ist ein sachgerechter Interessenausgleich bei Wahrung der Ergebnisse des Bieterwettbewerbs. Kern des Vorschlags zur Mehrkostenermittlung auf der Preisermittlungsgrundlage ist die Ermittlung der stahlpreisabhängigen Bestandteile der Einheits- oder Pauschalpreise und deren prozentuale Fortschreibung anhand eines Referenzpreisindizes.

Dadurch wird gewährleistet, dass zum Beispiel ein AN, der Stahlprodukte in seinem Angebot unter dem Marktpreis kalkuliert hat, durch eine Berücksichtigung gestiegener Faktorkosten nicht besser gestellt wird.

Konkrete Vorgehensweise

Da es sich bei der aktuellen Stahlpreisentwicklung um einen dynamischen Prozess handelt, sollte bei einer Mehrkostenermittlung auf jeden Fall die Zeitabhängigkeit der Kostenentstehung betrachtet werden – und zwar bei Unsicherheit über die weitere Preisentwicklung gleichermaßen im Interesse von AG und AN. Bei der Verschiebung des Einkaufs von Stahl oder stahlpreisabhängigen Leistungen aufgrund von Bauablaufstörungen ist die zeitorientierte Betrachtung ohnehin erforderlich.

Zum Nachweis der zeitabhängig entstehenden Mehrkosten ist folgende Vorgehensweise erforderlich:

  1. Ermittlung der stahlpreisabhängigen Bestandteile der einzelnen Einheits- oder Pauschalpreise auf Basis der Preisermittlungsgrundlage;
  2. Festlegung eines oder mehrerer Referenzpreisindizes und Ermittlung deren Höhe zum Angebotszeitpunkt;
  3. Ablauforientierte Zuordnung der stahlpreisabhängigen Materialanteile zu Vorgängen im ursprünglichen Bauablaufplan (Soll 1);
  4. Summierung der vorgangsbezogenen Stahlanteile über alle Vorgänge und Bildung von Teilsummen für Zeitscheiben (z. B. Monate) im Soll 1;
  5. Einarbeitung der AG-Störungen in den Ablaufplan Soll 1 und störungsspezifische Fortschreibung bis zum Ist;
  6. Summierung der vorgangsbezogenen Stahlanteile für die einzelnen Zeitscheiben im fortgeschriebenen, bis zum Stichtag dem tatsächlichen Geschehen auf der Baustelle entsprechenden Bauablaufplan;
  7. Feststellung der Differenz der monatlichen Stahlanteile aus dem fortgeschriebenen Bauablaufplan (Beobachtungszustand, z. B. Bau-Ist) und dem ursprünglichen Bauablaufplan (Referenzzustand, z. B. Soll 1);
  8. Ermittlung der tatsächlichen Höhe des Referenzpreisindizes für die einzelnen Zeitscheiben;
  9. Multiplikation des tatsächlichen Referenzpreisindizes pro Zeitscheibe mit der Höhe der jeweiligen Differenz des Stahlanteils der einzelnen Zeitscheiben;
  10. Wiederholung der Berechnung bei Fortschreibung aufgrund von mehreren Bauablaufstörungen.

Beispielhafte Erklärung

Im Beispiel werden für einen Bauablauf die Stahlmehrkosten ermittelt, der sich durch vom Auftraggeber zu vertretende Bauablaufstörungen zeitlich verschoben hat. Durch Beschleunigungsmaßnahmen konnte zudem ein Teil der zu erwartenden Gesamtverzögerung ausgeglichen werden. Die Abbildung zeigt schematisch das Ergebnis einer Mehrkostenberechnung. Zunächst zeigen die Säulen die monatlich über alle Vorgänge im Bauablaufplan summierten Faktorkosten stahlpreisabhängiger Anteile gemäß Bauablauf Soll 1 (grüne Säulen) und im Vergleich dazu die zu ursprünglichen Preisen bewerteten Stahlanteile gemäß dem tatsächlichen Bauablauf (blaue Säulen). In der Tabelle sind die Monatswerte für die beiden Bauablaufzustände Soll 1 und Ist ohne Preisänderung angegeben – in der Summe ergibt sich ein ohne Beachtung gestiegener Faktorkosten unveränderter Stahlanteil von jeweils 310.000,- Euro. Die Zeile „Differenz preisneutral“ zeigt, in welchem Monat sich welche Veränderung der einzusetzenden Stahlanteile ergeben hat. Wird diese preisneutrale Differenz monatsweise mit dem jeweiligen Preisindex multipliziert, der hier nur schematisch dargestellt und zum Baubeginn auf 100 % gesetzt worden ist, ergeben sich die monatlichen Mehr- und Minderkosten, die sich simultan aus der Preiserhöhung und dem abweichenden Bauablauf ergeben. In der Summe errechnen sich für das Beispiel Mehrkosten in Höhe von 51.750,- Euro beziehungsweise ca. 17 % bezogen auf den kalkulierten Stahlanteil von 310.000,- Euro.

Die einzelnen Schritte sind bei konsequentem EDV-Einsatz mit relativ wenig Aufwand durchzuführen. So können Bauunternehmen, die Power Project und das Kalkulationsprogramm Arriba einsetzen, über eine Schnittstelle die kalkulierten Stahlanteile direkt den konkreten Vorgängen im Ablaufplan zuordnen und in Power Project die monatlich geplanten und tatsächlichen Stahlanteile berechnen lassen.

Fazit

Die Abrechnung der Mehrkosten für die derzeit stark veränderlichen Kosten des Produktionsfaktors Stahl ist auf Basis des erläuterten Vorschlages sachgerecht und ausgewogen möglich. Ob jedoch auch ein Anspruch des Auftragnehmers besteht, diese Mehrkosten beim Auftraggeber durchzusetzen, muss in jedem Einzelfall geklärt werden.

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