Stoffpreisbedingt modifizierte Vergütung aufgrund verzögerter Vergabe
Der Beitrag stellt ein Verfahren für eine stoffpreisbedingt modifizierte Vergütung für die isolierte Mehrkostenermittlung aus der verzögerten Vergabe vor. Aufgrund der neuesten Rechtsprechung kann die Mehrkostenermittlung aktuell jedoch nur noch anhand konkreter Nachweis geführt werden.
Quellenangabe: Heilfort, Stoffpreisbedingt modifizierte Vergütung aufgrund verzögerter Vergabe, zugl. Anmerkung zu OLG Hamm, Urteil vom 05.12.2006, VergabeRecht, Heft 4/2007, S. 557 – 563. Download pdf-Datei
Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 05.12.2006 Grundsätze für die Behandlung der sich aus einer vergabebedingt verschobenen Leistungserbringung ergebenden Änderungen der Grundlagen des Angebots eines Bieters aufgestellt, die insbesondere für die nachfolgend erläuterte Ermittlung von erhöhten Stoffkosten von Bedeutung sind.
1. Probleme bei der Mehrkostenermittlung
Theoretisch verfügt der AN zum Zeitpunkt der Kalkulation über vollständige und richtige Informationen zu Gegenstand, Art und Weise der Leistungserbringung, so dass nur einige wenige Einflussfaktoren auf die Kalkulation geändert werden müssten, um die stoffpreisbedingten Mehrkosten einer verzögerten Vergabe kalkulatorisch zu ermitteln. Dies würde unter anderem voraussetzen, dass ein mitbietendes Bauunternehmen im Zuge der Angebotslegung sämtliche Details der vom AG ausgeschriebenen Teilleistungen einschließlich aller einzusetzenden Produkte und Stoffe kennt; Ausschreibungen, Angebotsauswertungen und Bieterverhandlungen für alle fremden Lieferungen und Leistungen durchführt; Kalkulationsunterlagen der vorgesehenen Lieferanten und Nachunternehmern auswertet; Zeitverläufe aller Kostenarten plant und Hochrechnungen für zukünftige Einkaufspreise vornimmt.
In der Praxis erfüllt ein Bauunternehmen oft nicht alle Anforderungen an eine Stoffkostenkalkulation, weil entweder keine adäquate Ausführungsplanung vorliegt, angesichts von zehn und mehr erfolglosen Angeboten für einen Auftrag der Aufwand gescheut oder die Zeit bis zur Submission zu knapp bemessen wird[1].
Da sich Änderungen der stoffpreisabhängigen Einflussfaktoren bei einer unveränderten Zuschlagserteilung aber ohnehin nicht auf die angebotenen Preise auswirken dürfen, sondern dem unternehmerischen Wagnis unterliegen, ist es insofern auch nicht erforderlich, im Zuge der Angebotskalkulation alle in den Eigenleistungen, Fremdleistungen und sonstigen Kosten enthaltenen Stoffanteile der Höhe und dem zeitlichen Verlauf nach detailliert zu bestimmen.
Dennoch enthält auch der Einheitspreis einer Position, in der der Stoffkostenanteil wertmäßig nicht explizit kalkuliert oder ausgewiesen wurde, stoffpreisabhängige Anteile, z. B. bei Fremdleistungen, für die nur Einheitspreise der Nachunternehmer eingesetzt und bezuschlagt werden. Es ist damit nicht ohne weiteres möglich, aus der Differenz der aktuellen Stoffpreise zum geänderten Vergabezeitpunkt mit den kalkulierten Stoffpreisen zum Angebotszeitpunkt den vertragsgerechten Vergütungsanspruch des Auftragnehmers zu ermitteln.
2. Grundsätze der Anspruchsermittlung
Bei einer allein auf die Differenz zwischen den in der Regel nominal kalkulierten Soll-Stoffkosten und den erhöhten Ist-Stoffkosten abstellenden Mehrkostenermittlung würde der Auftraggeber entgegen den Grundsätzen zur vertragsgerechten Fortschreibung der Preisermittlungsgrundlage einseitig auch alle diejenigen Risiken übernehmen, die im Verantwortungsbereich des Auftragnehmers liegen.
Eine Modifizierung der Vergütung des Auftragnehmers muss jedoch nach einer verzögerten Vergabe auf Grundlage der Kalkulation und der vergütungsrelevanten Veränderungen zwischen dem ursprünglich vorgesehenen und dem tatsächlichen Zuschlagszeitpunkt erfolgen (OLG Hamm, Urteil vom 05.12.2006 – 24 U 58/05).
Damit ist die Preisermittlungsgrundlage des Auftragnehmers konsequent fortzuschreiben, um ein etwaig „gutes“ oder „schlechtes“ Preisniveau der kalkulierten Stoffkosten beizubehalten und auch diejenigen Mehrkosten risikoneutral abzugrenzen, die sich aus einer etwaig unzutreffenden Kalkulation oder aus Stoffpreiserhöhungen im ungestörten Bauablauf ergeben. Die Preisermittlungsgrundlage umfasst dabei alle für die Preisfindung maßgeblichen Einflussfaktoren, auch wenn diese nicht unmittelbar und explizit in der Kalkulation ausgewiesen worden sind.
Zur Ermittlung des Vergütungsanspruchs aufgrund der verzögerten Vergabe ist damit der Preisanteil der von Kostenänderungen betroffenen Stoffgruppen am Angebot, die Stoffkostenverteilung über die geplante und vergabebedingt geänderte Bauzeit sowie die Entwicklung des für die einzelnen Stoffe oder Stoffgruppen relevanten Stoffpreisindizes zu berücksichtigen. Nur so wird gewährleistet, dass ein Auftragnehmer durch die Berücksichtigung gestiegener Stoffkosten nicht besser (oder schlechter) gestellt wird als ohne vergabebedingte Verzögerung. Insbesondere dann, wenn der Auftragnehmer bereits zum Angebotszeitpunkt nicht von über die Bauzeit preisgebundenen Stoffkosten ausgehen konnte, sind die auch im ungestörten Bauablauf aus etwaigen Stoffpreiserhöhungen zu tragenden Mehrkosten zu Lasten des Auftragnehmers zu berücksichtigen.
3. Regelbeispiel zur Ermittlung des berechtigten Preisanpassungsverlangens
Nachfolgend wird ein Regelbeispiel zur Ermittlung der erhöhten Kosten für die Stoffgruppe Kupferrohr erläutert. Die Abbildung 1 zeigt den relevanten Preisindex, der zum Zeitpunkt der ursprünglichen Bindefrist im Mai 2005 bei 110,5 % und zur tatsächlichen Zuschlagserteilung im Dezember 2005 bei 139,5 % (Spalte 2) bzw. umgerechnet auf die Preisbasis im Mai 2005 bei 126,2 % lag (Spalte 3).
Der nominale Stoffkostenanteil für Kupferrohr am kalkulieren Angebotspreis beträgt im Beispiel insgesamt 165.000 €. Die Zuordnung dieser Stoffkosten zu den relevanten Vorgängen im Bauablaufplan ergibt die Kostenverteilung über die unveränderte Bauzeit. Demnach sollten im Mai 2005 Kupferrohre im Wert von 5.000 €, im Juni von 10.000 €, im Juli von 100.000 € und im August 2005 im Wert von 50.000 € eingebaut werden (Vgl. Spalte 4 in Abb. 2). Tatsächlich kann der Auftragnehmer die benötigten Stoffe zwar auch vorab im Paket einkaufen und intern zwischenlagern, die Nichtbeachtung des konkret (und nachweisbar) geplanten Bauablaufs würde jedoch spekulative Elemente in die Fortschreibung der kalkulatorischen Grundlagen einbringen, die schwer nachprüfbar und zudem hier nicht relevant sind, da die Wahl des Einkaufszeitpunkts allein dem Risikobereich des Auftragnehmers zuzuordnen ist.
Für die Ermittlung der auch im ansonsten ungestörten Bauablauf vom Auftragnehmer zu tragenden Kosten (indizierte Stoffkostenverteilung gemäß Angebot, Spalte 5) wird der zur ursprünglichen Bindefrist umgerechnete Preisindex (Spalte 3) mit den monatlichen nominalen Stoffkosten (Spalte 4) multipliziert.
Nach der verzögerten Zuschlagserteilung im Dezember 2005 und der Anpassung des ursprünglich geplanten Bauablaufs ergibt sich bei ansonsten unveränderter Grundlage eine verschobene Verteilung der nominalen Stoffkosten von insgesamt 165.000 € gemäß Spalte 6.
Für die Ermittlung der Stoffkosten des verzögerten Bauablaufs (Spalte 7) wird der umgerechnete Preisindex (Spalte 3) mit den für die einzelnen Monate nominal fortgeschriebenen Stoffkostenverteilung (Spalte 6) multipliziert. Im Ergebnis betragen die Mehrkosten als Differenz zum indizierten Angebot 49.367 € bzw. 29,9 % der nominalen Stoffkosten.
4. Sonderfall: Mehrkosten aus Verkürzung der Lieferantenpreisbindung
Verschiebt sich durch die verzögerte Zuschlagserteilung der Abschluss von Lieferverträgen durch den Auftragnehmer von einem Zeitraum relativer Preisstabilität in einen Zeitraum mit stark steigenden Preisen, verkürzt sich aufgrund der daraus folgenden Unsicherheit über die künftige Preisentwicklung typischerweise die Lieferantenpreisbindung.
Dabei kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob bei fristgerechter Zuschlagserteilung berechtigt vom Abschluss preisgebundener Lieferverträge ausgegangen werden kann, immer auf den Zeitpunkt der vorgesehenen und tatsächlichen Beauftragung sowie auf den jeweiligen Preisindex an. Die in der Abbildung 1 gezeigte Preisentwicklung für Kupferrohr zeigt, dass ein Bieter, der am 09.05.2005 beauftragt werden sollte, aufgrund der vorangegangenen Preisentwicklung von gleichbleibenden Stoffpreisen ausgehen konnte. Verschiebt sich aber nun der Zuschlag auf den 09.12.2005, kann der Auftragnehmer mit seinen Stoffpreislieferanten keine der Vertragslaufzeit entsprechende Preisbindung mehr vereinbaren. Hätte der Auftraggeber den Zuschlag fristgerecht erteilt, wäre dem Auftragnehmer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Abschluss langfristiger Lieferverträge auf Grundlage des damals relativ stabilen Preisniveaus von 110,5 % (Preisbasis 2000) gelungen. In diesem Sonderfall dürfen die indizierten Stoffkosten gemäß Zuschlagserteilung mit den nominal kalkulieren Stoffkosten verglichen werden. Die Mehrkosten betragen in diesem Fall 58.154 € oder 35,2 % der kalkulierten Stoffkosten.
5. Fazit
Zum Zeitpunkt der verzögerten Zuschlagserteilung sind der kalkulatorischen Ermittlung von ungewissen, in der Zukunft liegenden Preisänderungen Grenzen gesetzt. Unter Umständen sind für den Auftragnehmer aufgrund von unerwarteten Stoffpreisänderungen Mehrkosten, die im zukünftigen Bauablauf gegenüber dem ungestörten Bauablauf entstehen, ex ante überhaupt noch nicht erkennbar. Ein Auftragnehmer kann daher im engen zeitlichen Zusammenhang zur Zuschlagserteilung die preislichen Auswirkungen künftiger Stoffpreiserhöhungen nicht abschließend ermitteln.
Eine angemessene und sachgerechte Berücksichtigung der aus einer verzögerten Zuschlagserteilung resultierenden Stoffpreiserhöhungen über die gesamte Bauzeit sollte somit seitens der Rechtsprechung nicht von einem auch der Höhe nach
abschließenden Preisanpassungsverlangen des Auftragnehmers zum Zeitpunkt der verzögerten Zuschlagserteilung abhängig gemacht werden. Vielmehr bietet die vertragsgerechte Anwendung von § 2 Nr. 5 VOB/B ausreichende Möglichkeiten, auch im Nachhinein einen sachgerechten und ausgewogenen Interessenausgleich zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber zu erzielen.
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[1] „Auffallend ist der Gegensatz, in welchem zu der ‚Gemüthlichkeit’ beim Zuschlag und bei der Abwicklung die ungemüthliche Hast bei Bemessung des Submissions- und Vollendungstermins steht.“ (zitiert aus Huber: Das Submissionswesen. Tübingen, 1885, S. 201)